Nachhaltigkeit im Bestand -
keine Erfindung der Gegenwart

Um die Prinzipien einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung umzusetzen, müssen nicht zwangsläufig neue Siedlungen entstehen.
Dr.-Ing. Frank Schröter (TU Braunschweig, D) zeigt am Beispiel der Siedlung Lehndorf auf, dass bereits vor langer Zeit nachhaltig geplant wurde.

 


Abb. 1.: Grundriss Siedlung Lehndorf

Die Siedlung Lehndorf liegt im Westen der Stadt Braunschweig, ca. 5 km vom Stadtzentrum entfernt und entstand in den Jahren 1934 bis 1937 als Gemeinschaftssiedlung.

Bis Ende 1937 wurden 1.728 Wohneinheiten für mehr als 7.000 Einwohner fertiggestellt. Zur Zeit wohnen noch ca. 5.200 Einwohner in der Siedlung. Dieser Bevölkerungsrückgang ist ein Zeichen der veränderten Familienstrukturen und des hohen Anteils älterer Einpersonen-Haushalte in der Siedlung

Städtebauliche Ausgangssituation

Die Siedlung umfasst alle Gebäudetypen von Eigenheimen bis zu Geschosswohnungen (als Zwei- und Mehrfamilienhäuser). Innerhalb der Siedlung ist deutlich die Hierarchie vom Zentrum mit repräsentativen Gemeinschaftsbauten bis zum Siedlungsrand abzulesen (vgl. Abb. 1).



Der Bauablauf

Diese Hierarchie wird auch in der Gebäudehöhe und in der Bebauungsdichte sichtbar. Die höchste Gebäudehöhe wird im Stadtteilzentrum erreicht, daran gliedern sich zweigeschossige Doppelhäuser, reine Mietwohnungsgebäude, eingeschossige Einfamilien-Doppelhäuser und zum Schluss freistehende Einfamilienhäuser (vgl. Abb. 1 und 2).

An der von Südosten (aus der Innenstadt) kommenden und als Baumallee ausgebildeten Haupterschließungsstraße liegen Mietwohnungsgebäude, die durch ihre unterschiedliche Anordnung einen abwechslungsreichen Straßenraum schaffen.

Die Straßenquerschnitte sind (in Abhängigkeit von der Funktion der Straße) relativ schmal, so dass wenig Fläche versiegelt wurde. Ggeringe Breite und versetzte Parkmöglichkeiten gewährleisten Verkehrsberuhigung.

Der westliche Teil der Siedlung ist nur einseitig an das übergeordnete Straßennetz angeschlossen, so dass kein Durchgangsverkehr entsteht. Durch die unterschiedliche Stellung der Häuser im Straßenraum, wechselweise mit Giebel oder Traufe zur Straße, und je nach Vorgartenanlage erhielt jede Straße ein spezifisches Aussehen.

Abb. 2.: Luftaufnahme / Foto Dieter Heitefuß*)

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Abb. 3.: Die Häuser werden achtsam renoviert und modernen Bedürfnissen angepasst

Ökologie - Gartenflächen - Zusatzland

Bei der Planung der Siedlung wurde darauf geachtet, das angrenzende Stadtgebiet mit dem vorhandenen Waldgebiet (Pawelsches Holz) zu verbinden. 1.000 Wohnungen mit durchschnittlich 700m² Gartenfläche und 135 Mehrfamilienhäuser mit Zusatzland sollten den geplanten Gesamtcharakter der Siedlung als "Grünanlage" unterstützen.

Grünachsen ziehen sich durch die Siedlung, verbinden die Siedlung mit den umgebenden Freiräumen und bieten (zusammen mit den Hausgärten) Lebensräume für Tiere und Pflanzen.

Neben dem Stadtteilzentrum bieten auch die "normalen" Siedlungshäuser Platz für gewerbliche Nutzungen. Ob Bäcker, Fleischer, Schuster oder Blumenladen, es befindet sich alles im direkten Wohnumfeld. Die Einrichtungen im Stadtteilzentrum und die Funktionsmischung innerhalb der Siedlung führen zu kurzen Wegen, die umweltverträglich zu Fuß oder mit dem Rad zurückgelegt werden können und so den motorisierten Individualverkehr reduzieren.

Ein Umfeld für intaktes soziales Gemeinschaftsleben  

In der Siedlung sind zahlreiche Gemeinschaftseinrichtungen vorhanden, so z.B. Schule, Kindergarten, Hort und eine Zweigstelle der Bücherei. Als diese Zweigstelle aus Kostengründen geschlossen werden sollte, gründete sich ein Förderverein, der die Bücherei ehrenamtlich in Eigenregie weiterführte.
Auch ein Zeichen für ein intaktes soziales Leben in der Siedlung.

Durch die Vielzahl von verschiedenen Wohntypen wurde eine soziale Bevölkerungsmischung erreicht. In allerdings getrennten Straßenzügen gibt es Mietwohnungen, Erbpacht- und Kaufeigenheime in unterschiedlichen Preiskategorien. Die Mischung der Wohntypen unterstützt die Forderung der Nachhaltigkeit, die Ressourcenproduktivität zu erhöhen.
Die Produktivität der Ressource Boden wurde durch verdichtete Bauformen (Geschosswohnungsbau, Reihen- und Doppelhäuser) erhöht.

Die Bewohner der Eigenheime haben durch kleinere und größere An- und Umbauten den teilweise monotonen Charakter der ehemaligen Straßenzüge mit Erfolg aufgelockert. Grundstücksgrößen und baurechtliche Rahmenbedingungen ermöglichen Veränderungen an den Gebäuden und so eine Anpassung an veränderte Wohnbedürfnisse. Die relativ kleinen Siedlungshäuser mit ca. 70m² Wohnfläche lassen sich so in familiengerechte Gebäude mit 120m² umbauen (vgl. Abb. 3). 

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Lebensqualität durch Wochenmarkt

Eine weitere soziale Kontaktmöglichkeit bietet der Wochenmarkt, der jeweils Donnerstags direkt neben dem Stadtteilzentrum stattfindet. Hier bieten u.a. Bauern der umliegenden Bauernhöfe ihre Produkte an. Durch den Markt werden somit (ganz im Sinne der Nachhaltigkeit) die regionalen Klein- und Mittelbetriebe unterstützt.  

Am Stadtteilzentrum sind, neben den bereits genannten sozialen Einrichtungen und der Kirche, zahlreiche Geschäfte angesiedelt, die eine Versorgung mit dem täglichen Grundbedarf gewährleisten. Zusammen mit dem näheren Umfeld sind hier ca. 20 Geschäfte vorhanden.

Senioren bleiben im Ortsverband

Vor einigen Jahren entstand direkt am Stadtteilzentrum eine Altentagesstätte, so daß Alt-LehndorferInnen ihre gewohnte Umgebung nicht verlassen müssen, wenn sie keinen eigenen Haushalt mehr führen wollen bzw. können. Außerdem ist hier ein ambulanter Pflegedienst angesiedelt, der die Versorgung hilfsbedürftiger Menschen in der eigenen Wohnung bzw. im eigenen Haus gewährleistet.

Die Kombination von sozialen Einrichtungen im weitesten Sinne und Geschäften schafft einen multifunktionalen Bereich, der aus den unterschiedlichsten Gründen aufgesucht werden kann. Man trifft sich gemeinsam beim Einkauf im Zentrum zum Klönen oder versorgt sich um die Ecke beim Bäcker mit dem täglich Notwendigen.

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Wirtschaft - Ressourcendurchfluss möglichst verlangsamen

Eine Anforderung der Nachhaltigkeit ist es, eingesetzte Ressourcen möglichst lange zu verwenden (Verlangsamung des Ressourcendurchflusses). Dieses Prinzip findet seinen Ausdruck z.B. in der Möglichkeit, vorhandene Bausubstanz veränderten Bedürfnissen anzupassen. Während früher Großfamilien auf kleinstem Raum lebten, beanspruchen heute Kleinfamilien mehr Wohnfläche. Diese unterschiedlichen Anforderungen der Generationen lassen sich in Lehndorf gut umsetzen, ohne die Gebäude abzureißen (vgl. auch Abb. 4). Funktionsmischung ermöglicht die Ansiedlung von nicht störendem Gewerbe im direkten Wohnumfeld. Der Schuster oder Blumenladen um die Ecke bietet wirtschaftliche Existenzgrundlage für die einen und ein Stück Lebensqualität für die anderen.

Lehndorf stellt sich heute als gepflegte und liebenswerte Wohnsiedlung dar, die einen hohen Wohnwert hat.

Dr.-Ing. Frank Schröter ist Raumplaner, forscht und lehrt zur ökologischen Planung als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Verkehr und Stadtbauwesen der TU Braunschweig und ist Vorstandsmitglied des Informationskreises für Raumplanung   Web: http://www.dr-frank-schroeter.de 
e-mail: f.schroeter@tu-bs.de  

Fotos: Frank Schröter
*) Abb. 2.: aus "Braunschweigs Stadterweiterungen 1920 bis heute", Verlag Dieter Heitefuss